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Einführung

Einführung

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Wissenschaftlicher Hintergrund

(Tove A. Larsen, Judit Lienert)

Die Urinseparierung basiert auf einer einfachen Erkenntnis: Die meisten Nährstoffe im Abwasser – etwa 80% des Stickstoffs und 50% des Phosphors – stammen aus dem Urin. Dabei steuert er weniger als 1% zum Abwasservolumen bei. Die Kläranlagen in Europa wurden im letzten Jahrhundert spezifisch wegen dieser Nährstoffe ausgebaut, weil sie entweder toxisch waren (z. B. Ammonium in Flüssen) oder zu übermässigem Algenwachstum (z. B. Phosphor in Seen) führten. Auf Kläranlagen wurden grosse Anstrengungen unternommen, den Phosphor zu fällen, Ammonium in Nitrat umzuwandeln und dieses schliesslich zu eliminieren.

Auch das Konzept "NoMix-Technologie" ist einfach: Speziell konstruierte WCs fangen im vorderen Teil den Urin auf und leiten ihn mit wenig Spülwasser oder gar unverdünnt in einen lokalen Speicher. Hinten funktionieren sie wie herkömmliche WCs; was dort anfällt, wird mit Wasser in die Kanalisation gespült. Ein Forschungsthema von Novaquatis war der weitere Umgang mit dem Urin: Die Nährstoffe Stickstoff und Phosphor dienen der Herstellung eines Pflanzendüngers – oder werden mit ähnlichen Verfahren wie in Kläranlagen eliminiert.

Urin vom Abwasser fernzuhalten, wäre vorteilhaft, da Kläranlagen in Zukunft wieder kleiner gebaut werden könnten und sich gleichzeitig die Gewässer besser vor Stickstoff und Phosphor schützen liessen. Die Nährstoffe könnten in die Landwirtschaft zurückgebracht und die Mikroverunreinigungen im Urin – Hormone und Medikamentenreste – ohne Vermischung mit Abwasser entfernt werden. Urinseparierung hätte also eine deutlich flexiblere Abwasserreinigung zur Folge. Angesichts des weltweiten Wassermangels stellt die NoMix-Technologie zudem eine hervorragende Möglichkeit dar, die Qualität von wieder verwendetem Wasser zu erhöhen.

Das Potenzial der NoMix-Technologie ist gross. Der Aufwand muss aber gegenüber herkömmlichen Technologien bestehen können, da sich Gewässerschutzprobleme und die Rückführung von Phosphor in die Landwirtschaft oft auch mit konventionellen Methoden lösen lassen.

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"End-of-Pipe" ist nicht das Ende: Es gibt Alternativen zum Gewässerschutz durch Kläranlagen (Foto Abwasserverband Altenrhein)


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Nicht alles ist gut, was grün ist: Die NoMix-Technologie könnte schnell zur Lösung der Überdüngung von Küstengewässern beitragen (Foto Keystone)

In Novaquatis untersuchten wir, ob, in welcher Form und unter welchen Umständen sich die NoMix-Technologie lohnt. Weil die Fragestellung sehr umfassend ist, organisierten wir die einzelnen Projekte in Arbeitspaketen entlang den Stationen eines möglichen Nährstoffkreislaufes. Einen Überblick finden Sie hier, mehr Datails in den einzelnen Novaquatis Publikationen.

Resultate und Synthese

Erfreulich ist, dass die Bevölkerung der NoMix-Technologie grosse Sympathie entgegenbringt. Alle in Novaquatis Befragten kannten die noch nicht ausgereifte Technologie und nutzten sie auch. Obwohl sie die Mängel der heutigen NoMix-WCs erkannten, waren sie mit überwiegender Mehrheit von deren Kerngedanken überzeugt (Nova 1). Die Praxis zeigt ebenfalls grosses Interesse: So wurden im Kanton Basel-Landschaft umfangreiche Pilotprojekte erfolgreich durchgeführt (Nova PP). Auch bei der Schonung von Ressourcen schneidet die NoMix-Technologie gut ab: Sie hat das Potenzial, auf energieeffiziente Weise sehr viel zum Gewässerschutz beizutragen. Zudem stellt Urin dort, wo es heute an Nährstoffen mangelt, eine lokale Nährstoffressource dar (Nova 7).

Die Schwierigkeiten liegen im Detail. Als Knackpunkt erwies sich der Transport des Urins. Neue Leitungen zu verlegen oder den Urin mit Lastwagen aus den Kellerspeichern zu einer zentralen Aufbereitung zu transportieren, ist teuer und aufwändig. In Novaquatis erarbeiteten wir kostengünstige Lösungen, um Urin in der bestehenden Kanalisation zu transportieren (Nova 3). Trotz ihres Potenzials überzeugten sie die Projektpartner aus der Sanitärindustrie nicht. Sie sind zu stark auf Schweizer Verhältnisse zugeschnitten und eignen sich zudem nur für kleinere Einzugsgebiete. Die Sanitärindustrie schätzt deshalb das Marktpotenzial als zu gering ein, als dass sich Investitionen in die NoMix-Technologie lohnten (Nova 2). Eine bessere Sanitärtechnologie ist jedoch unbedingt notwendig; zwar lassen sich mit den heutigen NoMix-WCs Pilotprojekte durchführen – grössere Demonstrationsprojekte aber bereits nicht mehr (Nova PP). Die weitere Entwicklung hängt also massgeblich von den Einwänden der Sanitärindustrie ab.

Gleichzeitig zeigten Literaturstudien (Nova 7) das grosse Potenzial der NoMix-Technologie aus globaler Sicht. Vor allem Küstengewässer sind stark von Überdüngung bedroht. Wegen des rasanten Bevölkerungswachstums in diesen Regionen rücken die Probleme mit Nährstoffen aus Abwasser auf der globalen Agenda weit nach vorne. Es müssen mehr Nährstoffe eliminiert werden, was heute fast ausschliesslich in Industrieländern geschieht. In Gegenden, wo man noch nicht über eine vollständig ausgebaute Infrastruktur verfügt, kann die NoMix-Technologie Gewässer schneller und effizienter schützen als der Ausbau von Kanalisation und Kläranlagen. Das Potenzial der NoMix-Technologie bei grossem Bevölkerungsdruck, der zu fast unlösbaren Gewässerschutzproblemen führt, wurde eindrücklich am Beispiel von China dargelegt (Nova 8).

Letztlich geht es also um Wirtschaftlichkeit und die technischen und organisatorischen Möglichkeiten der Urinseparierung. Könnte man Urin problemlos transportieren, wäre eine zentrale Urin-Aufbereitung zu befürworten. Die Verfahren existieren bereits (Nova 4), und Prozesse wie Phosphorfällung und biologische Stickstoffelimination lassen sich im konzentrierten Urin wesentlich günstiger und energieeffizienter als im Abwasser durchführen. Grosses Potenzial haben auch Verfahren zur Wiedergewinnung von Stickstoff und Elimination von Mikroverunreinigungen – von Menschen ausgeschiedene und in den Gewässern nachgewiesene Medikamente und Hormone. Schätzungsweise die Hälfte des ökotoxikologischen Risikos dieser Stoffe gelangt über den Urin ins Abwasser (Nova 5).

Da der Transport schwierig und / oder teuer ist, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten und der Wirtschaftlichkeit dezentraler Prozesse. Urin direkt im Haus aufzubereiten, erscheint attraktiv. Im Rahmen von Novaquatis war es jedoch nicht mehr möglich, dezentrale Verfahren detailliert zu untersuchen. Sicher ist, dass auch hier die Kombination von Phosphorfällung und biologischer Stickstoffelimination aussichtsreich ist. Wir sind zuversichtlich, dass dezentrale Verfahren durch Massenproduktion für die Sanitär- und andere Industrien wirtschaftlich interessant werden können. Als problematischer stufen wir die Stabilität und Wartungsintensität dezentraler Verfahren ein, insbesondere bei den biologischen Prozessen. Um der NoMix-Technologie zum Durchbruch zu verhelfen, können beide Lösungsansätze parallel verfolgt werden. Die wissenschaftlichen Kompetenzen an der Eawag prädestinieren uns eher dazu, stabile biologische Prozesse und Lösungen für die organisatorischen Probleme dezentraler Prozesse zu entwickeln, als neue Optionen für den Transport zu suchen.


 

Schlussfolgerung

Die Forschung in Novaquatis zeigte, dass die NoMix-Technologie eine gute Alternative zur heutigen Nährstoffelimination werden könnte. Voraussetzung ist, dass eines der beiden grundlegenden Probleme gelöst wird: Entweder findet man eine attraktive, breit einsetzbare und kostengünstige Lösung für den Transport des Urins – oder man entwickelt dezentrale Verfahren, die stabil und wirtschaftlich sind, um ihn lokal aufzubereiten.

Die Gewässerprobleme durch Nährstoffemissionen nehmen weltweit stark zu. Wir sind deshalb überzeugt, dass sich die Suche nach Lösungen lohnt. Konkurrenzfähige Innovationen setzen aber grosse Märkte voraus. Es kann daher sinnvoll sein, vorerst Technologien für städtische Gebiete mit grossem Bevölkerungsdruck zu entwickeln, wo heute Nährstoffe in Kläranlagen gar nicht oder unzureichend eliminiert werden. So könnte die NoMix-Technologie schnell und wirksam zur Lösung der globalen Gewässerprobleme beitragen. Dazu müssen aber attraktive und wirtschaftliche Technologien entwickelt werden – beispielsweise auch von Schweizer Firmen, die sich zunehmend im weltweiten Markt bewegen. Weil solche Lösungen auch für Industrieländer eine ernsthafte Option darstellen, ist es sinnvoll, auch hier die NoMix-Technologie in Demonstrationsprojekten einzuführen. Langfristig würden auch die Schweizer Gewässer von ihrem breiten Einsatz profitieren.


Das Problem im Griff – und im Sack:
Nährstoffe aus dem Urin sind in Gewässern unerwünscht, aber als Pflanzendünger nützlich (Foto Andri Bryner)

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Potenzial vorhanden: Unser kleines Geschäft könnte für die Sanitärindustrie bald zu einem grossen werden (Foto Keystone)


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Literatur

Larsen, T.A., W. Gujer (1996) Separate management of anthropogenic nutrient solutions (human urine). Water Science and Technology 34(3–4): 87–94.

Larsen, T.A., W. Gujer (1997) The concept of sustainable urban water management. Water Science and Technology 35(9): 3–10.

Larsen, T.A., I. Peters, A. Alder, R. Eggen, M. Maurer, J. Muncke (2001) Re-engineering the toilet for sustainable wastewater management. Environmental Science & Technology 35(9): 192A–197A.

Larsen, T.A., M. Maurer, K.M. Udert, J. Lienert (submitted) Nutrient cycles and resource management: Implications for the choice of wastewater treatment technology. Accepted for presentation at IWA Advanced Sanitation Conference, Aachen, 12.–13.3.2007, submitted to Water Science and Technology.

Wilsenach, J.A., M. Maurer, T.A. Larsen, M.C.M. van Loosdrecht (2003) From waste treatment to integrated resource management. Water Science and Technology 48(1): 1–9.

Weitere Publikationen