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Nova 8 – China

Nova 8 – China

NoMix-Technologie für Schwellenländer?
WCs mit Wasserspülung in Schwellenländern einzuführen, ist für die Umwelt oft verheerend, weil ausreichende Massnahmen zur Abwasserreinigung fehlen. Die chinesische Millionenstadt Kunming liegt im Einzugsgebiet des stark verschmutzten Dianchi-Sees. Die Abwasserreinigung durch Kläranlagen stösst an ihre Grenzen. Um die Wasserqualität zu verbessern, sind Massnahmen an der Quelle wie Urinseparierung nötig. Die Beteiligten stehen der NoMix-Technologie sehr positiv gegenüber – eine gute Voraussetzung, sie grossflächig einzuführen.

  Text Nova 8 (pdf, 369 KB)

Wissenschaftlicher Hintergrund

Nova 8 befasste sich mit der Einführung der NoMix-Technologie in Schwellenländern. Dort wird heute bei der Abwasserreinigung meist die konventionelle "End-of-Pipe"-Lösung bevorzugt. Massnahmen an der Quelle wie zum Beispiel Urinseparierung könnten eine vernünftige Alternative darstellen – nicht zuletzt wegen des hohen demografischen Drucks und der häufig sehr begrenzten Geld- und Wasserressourcen dieser Länder. Wo noch keine Kanalisation existiert, haben Schwellenländer mehr Planungsspielraum als typische europäische Länder.

Kunming, die Hauptstadt der Provinz Yunnan im Südwesten Chinas und Partnerstadt der Stadt Zürich, wurde für Nova 8 als Pilotgebiet ausgewählt. Die Grossstadt mit etwa 2.4 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern liegt am flachen Dianchi-See, der stark mit Phosphor überdüngt ist. Bis 2020 erwartet man ein Anwachsen der Stadt auf 4.5 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner. In den letzten Jahrzehnten wurden sechs moderne Kläranlagen gebaut; dennoch verbesserte sich die Wasserqualität des Dianchi-Sees nicht.

Die Projekte wurden vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF; www.snf.ch) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA; www.deza.admin.ch) finanziert und im nationalen Schweizer Forschungsschwerpunkt NCCR Nord-Süd durchgeführt (NCCR North-South; www.nccr-north-south.unibe.ch). Interessensvertreter in Kunming förderten die Arbeit sehr stark. Eine unentbehrliche Unterstützung, unter anderem um an Daten und andere Informationen zu gelangen.

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Blühende Stadt, blühender Dianchi-See: Das Abwasser der Stadt Kunming führt zu massiver Überdüngung und Algenblüte (Foto Edi Medilanski)

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Boom – hoffentlich auch in Sachen NoMix: Kunming, eine rasant wachsende und aufstrebende Millionenstadt im Südwesten Chinas (Foto Edi Medilanski)

Nova 8-1: Stoffflussanalyse von Abwasser

(Dong-Bin Huang, Hans-Peter Bader, Willi Gujer, Ruth Scheidegger, Roland Schertenleib)

In einer Doktorarbeit wurde eine Methodik für die Stoffflussanalyse von Abwasser und dessen Inhaltsstoffe und Verunreinigungen in Schwellenländern entwickelt, abgestimmt auf die speziellen Anforderungen solcher Gebiete. Die bedeutendsten Merkmale sind dabei der Mangel an Daten sowie die rasante städtische Entwicklung. Die Arbeit evaluierte verschiedene Strategien der Abwasserbehandlung auf Basis der Stoffflussanalyse, einschliesslich diverser Massnahmen an der Quelle [1].

Exemplarisch wurde Kunming modelliert. Die wichtigste Erkenntnis: Die sechs Kläranlagen reinigen nur rund 25% des Abwassers; der Rest wird verschmutzt in den See geleitet. Ein Hauptgrund dafür ist, dass sauberes Wasser – vor allem Grund- und Flusswasser – in die Kanalisation infiltriert und so das Abwasser mindestens 1:1 verdünnt wird. Die Folge: Jährlich gelangen rund 1600 von insgesamt 1960 Tonnen Phosphor aus dem Abwasser der Stadt in den See. Ambitiöses Ziel der lokalen Behörden wäre aber, die Wasserqualität von 1960 wieder herzustellen, was bedeutet, dass nur noch etwa 30 Tonnen Phosphor pro Jahr aus dem Abwasser in den See geleitet werden dürften. Dies erst noch unter der Voraussetzung, dass Landwirtschaft und Industrie ähnliche Anstrengungen unternehmen [1]. Der Dianchi-See ist eigentlich zu klein und zu flach, um das Abwasser einer derart riesigen Stadt aufzunehmen. Ganz abgesehen davon muss er auch noch weitere Phosphorquellen verkraften.

Die Modellierung zeigte, dass selbst mit "perfekter" Technologie – wie sie etwa in Zürich annähernd vorhanden ist – die Ziele für den See nicht erreicht werden können. Noch immer würden mindestens 56 Tonnen Phosphor pro Jahr in den See geleitet. Könnte da die Urinseparierung helfen? Die Modellierung ergab: Würde der Urin zu zwei Dritteln separiert und diese Massnahme die "perfekte" Kläranlagetechnologie ergänzen, so würde das Ziel mit 39 Tonnen Phosphor pro Jahr aus dem Abwasser nur knapp verfehlt [1].

Die wirkliche Herausforderung liegt nun darin, vernünftige Massnahmen so zu kombinieren, dass sie sowohl realistisch sind als auch zum ehrgeizigen Ziel führen. Klar ist, dass es unterschiedliche Lösungen geben muss: für die Gebiete in der Stadt und auf dem Land sowie für die alten Stadtteile in "Downtown Kunming" und die neu wachsenden, die noch über keine Infrastruktur verfügen.

Nova 8-2: Einführung der Urinseparierung

(Edi Medilanski, Liang Chuan, Zhi Guoqiang, Hans-Joachim Mosler, Roland Schertenleib, Tove A. Larsen)

Welche Lösungen für die oben diskutierten Probleme ziehen die lokalen Expertinnen und Experten vor? Zunächst wurde die Situation vor Ort analysiert, um Entscheidungsprozesse zu verstehen und die lokalen Akteure zu ermitteln [2]. Danach wurden Exponentinnen und Exponenten von 32 verschiedenen Interessensgruppen jeweils zwei Stunden lang interviewt, um ihre Einstellung zu Massnahmen an der Quelle im Allgemeinen und zur Urinseparierung im Speziellen zu erfahren [3].

Wichtigster Akteur – nebst den obersten politischen Gremien und verschiedenen Umweltschutz- und Planungsämtern – ist das Amt für den Schutz des Dianchi-Sees [2]. Dieser Behörde kommt eine Schlüsselrolle bei allen Entscheiden über den See zu. Lokale Experten wiesen auch auf die wichtige Rolle privater Immobilienfirmen hin, die über die Möglichkeit verfügen, alternative Abwassertechnologien zu fördern oder abzulehnen. Auch die Forschungsinstitutionen spielen bei den Entscheiden eine grosse Rolle, können sie doch vorgängig Pilotprojekte durchführen. Nova 8-2 zeigte, dass erfolgreiche Pilotprojekte sehr grosse Vorhaben auslösen können (siehe unten).

Fast alle lokalen Expertinnen und Experten stehen Massnahmen an der Quelle sehr positiv gegenüber [3]. Im Gegensatz zu europäischen Fachleuten sehen sie diese aber eher bei den konzentrierten Abwasserströmen wie Toilettenabwasser als bei den "sauberen" Abwässern wie Regen- und Flusswasser. Die Befragten erkannten die Probleme der heute vorhandenen Technologien, wie zum Beispiel der Trockentoiletten, sehr gut. Dennoch ist die Stimmung gegenüber technischen Entwicklungen optimistisch, und solche Massnahmen werden in der Gesellschaft zunehmend akzeptiert.

Zu Nova 8-2 gehörte ein Pilotprojekt mit Urin separierenden Trockentoiletten im ländlichen Raum [4, 5]. Dieses war insgesamt sehr erfolgreich und löste Pläne aus, mehr als 100'000 Trockentoiletten in ähnlichen Gebieten einzubauen.

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Öffentliche Ausbildungs-
sitzung:
Lokale Sozialwissen-schafterInnen klären vor dem Bau von Trockentoiletten die Akzeptanz in der Bevölkerung ab (Foto Edi Medilanski)

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NoMix-Technologie, made in China: Die Fäkalien werden in der hinteren Kammer gesammelt, der Urin fliesst in eine Kanne (Bild Lin Jiang)

Schlussfolgerungen

Die "End-of-Pipe"-Abwasserbehandlung stösst in schnell wachsenden Städten von Schwellenländern mit grossem Bevölkerungsdruck und knappen Süsswasserressourcen an ihre Grenzen. Die Urinseparierung kann in Kunming einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Abwasserproblems leisten. Ländliche und urbane Gebiete benötigen dabei vermutlich unterschiedliche Lösungen. Klar ist, dass die Stadt Kunming die Sanierung des Sees wegen des grossen Bevölkerungsdrucks vorantreibt – eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe. Gleichzeitig ist man in der sehr dynamischen Stadt stark gewillt, sich auf Neues einzulassen. In solch schnell wachsenden Gebieten lassen sich konkrete Massnahmen auch rasch umsetzen.

Literatur

  1. Huang, D.-B., H.-P. Bader, R. Scheidegger, R. Schertenleib, W. Gujer (in press) Confronting limitations: new solutions required in urban water management in Kunming City. Journal of Environmental Management  doi: 10.1016/j.jenvman.2006.05.004 (online erhältlich).
  2. Medilanski, E., L. Chuan, H.-J. Mosler, R. Schertenleib, T.A. Larsen (in press) Identifying the institutional decision process to introduce decentralized sanitation in the city of Kunming (China). Accepted for publication in Environmental Management.
  3. Medilanski, E., L. Chuan, H.-J. Mosler, R. Schertenleib, T.A. Larsen (2006) Wastewater management in Kunming, China: a stakeholder perspective on measures at the source. Environment and Urbanization 18(2): 353–368.
  4. Kunming Insitute of Environmental Science (2005) Implementation, monitoring and promotion of urine-separating dry toilets in Zhonghe Village, Kunming, China. Final Report of the PAMS SEA-3. Bericht herunterladen
  5. Chuan, L., L. Ronghuai, F. Jinming, A. Morel, E. Medilanski (2005) Social acceptance of urine-diverting dry toilets in Zhonghe Villlage, Kunming, China. Result of the survey conducted in the framework of the PAMS SEA-3 project of the NCCR North-South programme. Bericht herunterladen

Weitere Publikationen