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Nova 6 – Landwirtschaft

Nova 6 – Landwirtschaft

Dünger aus Urin?
Ein Grossteil des schweizerischen Stickstoff-, Phosphor- und Kaliumbedarfs wird heute durch Kunstdünger gedeckt. Urindünger könnten 15
37% davon ersetzen. Landwirte und Bevölkerung erachten in Umfragen die Idee eines Urindüngers als positiv – vorausgesetzt, Gesundheitsrisiken sind ausgeschlossen. Versuche aus Nova 4 wiesen nach, dass Urinprodukte ähnlich gut wirken wie Kunstdünger. Bevor sie sich aber grossflächig einführen lassen, müssen Kosten und Nutzen sorgfältig abgewogen und aufwändige Bewilligungsverfahren durchlaufen werden.

  Text Nova 6 (pdf, 490 KB)

Wissenschaftlicher Hintergrund

Nährstoffe aus menschlichem Urin könnten in der Schweiz rund 37% des Stickstoff-, 20% des Phosphor- und 15% des Kaliumbedarfs ersetzen, die heute durch künstliche Mineraldünger gedeckt werden [1]. Ursprünglich war das Ziel von Nova 6, die Möglichkeiten und Probleme eines solchen Urin-Recyclings zu untersuchen. Leider konnten wir für diese Forschungsprojekte keinen Geldgeber gewinnen. Externe Partner halfen aber mit, zwei wichtige Fragen zu klären: Würde ein Urindünger in Landwirtschaft und Bevölkerung Anklang finden? Und wirkt aufbereiteter Urin ähnlich gut wie Kunstdünger?

Nova 6-1: Wird Urindünger akzeptiert?

(Judit Lienert, Michel Haller, Alfred Berner, Michael Stauffacher, Tove A. Larsen)

Im Jahr 2000 verschickten wir 467 Fragebögen an Deutschschweizer Landwirte und unterschieden zwischen vier Produktionsarten: Bio, Integrierter Produktion (IP), ohne und mit Gemüseanbau [1]. Die Rücklaufquoten der einzelnen Gruppen waren unterschiedlich und generell tief (Antwort von 127 Landwirten). Die Ergebnisse sind deshalb nicht repräsentativ, geben aber wichtige erste Hinweise.

57% der Landwirte halten Urindünger für eine gute Idee. 42% würden sich den Dünger beschaffen – vor allem diejenigen, die ohnehin Dünger zukaufen. Weil dies in erster Linie die IP-Produktion und den Gemüseanbau betrifft, hätte Urindünger dort vermutlich die besten Marktchancen. 

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Salat mit Kopf: Viele Konsumentinnen und Konsumenten wären bereit, mit Urindünger gedüngtes Gemüse zu kaufen (Foto Yvonne Lehnhard)

Allerdings wäre kein Landwirt bereit, mehr zu bezahlen als für herkömmliche Dünger. Die meisten bevorzugen einen Stickstoffdünger in Form von Ammoniumnitrat. Zudem ziehen sie ein Granulat einem Flüssigdünger vor, und sie lehnen Uringeruch ab. Grundsätzliche Bedingung: Das Produkt muss risikofrei sein. 30% der Landwirte äusserten Bedenken, Urindünger könnte Mikroverunreinigungen, etwa Medikamentenrückstände, enthalten.

Die Bevölkerung scheint ähnlich positiv eingestellt zu sein (Nova 1). Auch diese Gruppe würde aber nur Lebensmittel kaufen, die mit Urindünger behandelt wurden, wenn sie risikofrei sind. Krankheitserreger und Medikamente aus dem Urin zu entfernen, kommt deshalb eine hohe Priorität zu – zum Beispiel für die Befragten einer Fokusgruppenstudie (Nova 1, [2]). Zwei Drittel der 501 Befragten in der Kantonsbibliothek BL (Nova PP) würden den Urindünger auch im eigenen Garten benutzen oder damit gedüngtes Gemüse kaufen (Ergebnisse noch nicht veröffentlicht). Das restliche Drittel war aus Ekel oder gesundheitlichen Bedenken eher gegen einen Urindünger.

Nova 6-2: Topfversuche mit Urindünger

(Jürgen Simons, Joachim Clemens)
Eine Dissertation der Universität Bonn ermittelte in Gewächshausversuchen, wie sich die Urinprodukte aus Nova 4 als Dünger eignen [3, 4]. Als Testpflanzen dienten ein Weidelgras (Lolium multiflorum italicum) und Rotklee (Trifolium pratense). Die Arbeit verglich beim Stickstoff sieben Substrate – darunter unbehandelter Urin sowie die Produkte aus Nova 4-1 (biologischer Reaktor) und Nova 4-3 (Nanofiltration, Elektrodialyse) – mit einem künstlichen Mineraldünger (Kalkammonsalpeter). Zudem verglich sie fünf Phosphordünger, darunter Struvit (MAP; Nova 4-2), mit dem Kunstdünger Superphosphat.

Die Ergebnisse: Pflanzen, die mit Urin-Stickstoff gedüngt wurden, lieferten praktisch den gleichen Ertrag wie Mineraldünger und entzogen dem Boden die gleiche Menge Stickstoff. Unterschiede zwischen den getesteten Düngern lassen sich durch pH-Unterschiede und daraus resultierende Verluste von Ammoniak erklären. So waren Pflanzen, die mit angesäuertem Urin mit pH 4 gedüngt wurden, signifikant ertragreicher als solche, die unbehandelten Urin mit pH 9 erhielten.

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Rotklee in Gewächshausversuchen: Pflanzenwachstum nach der Behandlung mit unterschiedlichen Phosphordüngern (Foto Jürgen Simons)

Die getesteten Phosphordünger unterschieden sich vom Kunstdünger – sowohl im Ertrag als auch im Entzug von Phosphat aus dem Boden. Mit Magnesium gefällte Phosphate, darunter der Eawag-Struvit (MAP), lieferten gleich gute Werte wie der Kunstdünger. Hingegen wirkten z. B. die Dünger von Phosphat aus Klärschlamm, das mit Eisen gefällt wurde, signifikant schlechter. Allgemein waren die Struvite aus der dezentralen Abwasserbehandlung homogener als diejenigen aus der Kläranlage – bezüglich Zusammensetzung und Düngewirkung. Die Unterschiede lassen sich nicht abschliessend erklären; es besteht also noch Forschungsbedarf, beispielsweise um die Herstellungsprozesse zu analysieren und optimieren.

Nova 6-3: Feldversuche mit Urindünger

(Martin Koller, Alfred Berner, Wouter Pronk, Steffen Zuleeg, Markus Boller, Judit Lienert)

Der Urin aus der Kantonsbibliothek BL soll nach der Behandlung durch Elektrodialyse und Ozonierung als Dünger verwendet werden (Nova PP). Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL; www.fibl.org) ermittelte deshalb 2006 im Auftrag von Novaquatis die Düngereigenschaften des Urins. Der Versuch wurde auf einem IP-Betrieb durchgeführt – mit Silomais, der viel Stickstoff benötigt. Hier verglich man den Urindünger "Urevit" mit Rindergülle, Kompogas-Presswasser, organischem Handelsdünger (Federmehl) und künstlich hergestelltem, mineralischem Stickstoffdünger (Ammonsalpeter). "Urevit" ist stabiler als Roh-Urin, die Nährstoffe sind etwa dreimal konzentrierter, und er ist – soweit messbar – frei von Bakterien, Viren und Mikroverunreinigungen.

Wichtigste Erkenntnis: "Urevit" eignet sich als Dünger. Nach dem Hauptwachstum war der "Urevit"-Mais gleich hoch und wies die gleiche Blattfarbe auf wie der mineralisch gedüngte Mais; beide lagen vor den Pflanzen, die mit Rindergülle oder Federmehl behandelt wurden. Weil beim Mais die Blattfarbe eng mit der Stickstoffversorgung der Pflanze korreliert, bedeutet dies: "Urevit" und Mineraldünger wirken am Anfang gleich schnell. Allerdings lieferte der "Urevit"-Mais – wie der Kompogas- und Federmehl-Mais – eine um 15% signifikant tiefere Ernte als der mineralisch gedüngte. Vermutlich ging beim Ausbringen von "Urevit" Stickstoff verloren, was aber mit optimierter Urinaufbereitung und Ausbringtechnik eingeschränkt werden könnte. Heute werden Dünger oft mit Schleppschlauchverteilern ausgebracht. Würde "Urevit" gratis an Landwirte abgegeben, wären die Kosten für diese Ausbringtechnik ungefähr gleich wie bei Ammonsalpeter. Damit wird "Urevit" für Landwirte wirtschaftlich interessant.

Das Amt für Industrielle Betriebe BL (AIB; Nova PP) erhielt für Urevit eine provisorische Düngerbewilligung des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW; www.blw.admin.ch) – eine definitive gibt es nur, wenn strenge Qualitätskriterien erfüllt werden. In einem Zwischenschritt liesse sich der Dünger für nicht-landwirtschaftliche Zwecke verwenden, zum Beispiel für Zierpflanzen in lokalen Gärtnereien.

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Urindünger nach Mass: "Urevit" wird genau abgemessen, bevor damit auf einem IP-Betrieb Silomais-Pflanzen gedüngt werden.
Gülle oder Urin: Wer gewinnt? Maispflanzen werden im Feldversuch mit unterschiedlichen Düngern behandelt – hier mit Kompogas-Presswasser (mitte) und mit Rindergülle (rechts) (Fotos Martin Koller)


Schlussfolgerungen

In Nova 6 konnten wichtige landwirtschaftliche Kontakte geknüpft werden, so mit dem BLW (Nova 6-3), mit dem FiBL (Nova 6-1, 6-3) und mit der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon (ART; www.art.admin.ch). Landwirtschaftsvertreter erachten die vorsichtige Vorgehensweise von Novaquatis als richtig – so lassen sich ähnlich polemische Diskussionen vermeiden, die zum Verbot von Klärschlamm in der schweizerischen Landwirtschaft führten. Bauern und Bevölkerung (Nova 6-1) stehen einem Urindünger positiv gegenüber. Beide Gruppen betonen aber, dass jedes Risiko – zum Beispiel durch Mikroverunreinigungen – ausgeschlossen werden muss. Solche Stoffe müssen wirksam entfernt werden (Nova 4). Absolute Sicherheit gibt es jedoch nie. Deswegen sollte in Folgeprojekten eine gesellschaftliche Diskussion die ökotoxikologischen Abklärungen (Nova 5) begleiten. Hier sollte man auch Landwirtschaftsvertreter, Konsumentenorganisationen und die grossen Lebensmittelverteiler einbeziehen.

Dank Nova 6 wissen wir heute, welche Reaktionen von Landwirten und Bevölkerung zu erwarten sind und welche Schritte bei der schweizerischen Markteinführung eines Urindüngers folgen sollten. Wir wissen auch, dass sich Urinprodukte gut als Dünger eignen und Kunstdüngern meist ebenbürtig sind. Allerdings ist Dünger heute sehr billig – zumindest in Industrieländern. Es stellt sich deshalb die Frage, wie weit sich eine aufwändige Düngerherstellung, wie sie in Novaquatis im Versuchsmassstab durchgeführt wurde, auch lohnt. Zahlreiche Gegenden der Erde leiden jedoch unter Nährstoffmangel (z.B. Afrika, China). Hier bietet sich die Verwendung von Urin als Pflanzendünger geradezu an.

Literatur

  1. Lienert, J., M. Haller, A. Berner, M. Stauffacher, T.A. Larsen (2003) How farmers in Switzerland perceive fertilizers from recycled anthropogenic nutrients (urine). Water Science and Technology 48(1): 47–56.
  2. Pahl-Wostl, C., A. Schönborn, N. Willi, J. Muncke, T.A. Larsen (2003) Investigating consumer attitudes towards the new technology of urine separation. Water Science and Technology 48(1): 57–65.
  3. Simons, J. (2006) N- und P-Wirksamkeit von Substraten der zentralen und dezentralen Abwasserbehandlung. Kapitel für Dissertation am Institut für Pflanzenernährung, Universität Bonn, Deutschland. Publikation in internationaler Fachzeitschrift geplant (mit J. Clemens und J. Lienert).
  4. Simons, J., J. Lienert, J. Clemens (2006) Phosphorous-availability from substrates of conventional and non-conventional waste water treatment systems. Proceedings of the IWA (International Water Association) World Water Congress, Beijing, China, 10.–14.9.2006. Zum Kongress Beijing 2006.

Weitere Publikationen